Über FHIR
Wenige moderne Technologien haben die Gesellschaft so stark geprägt wie das Internet.
Es durchdringt alle Bereiche des täglichen Lebens und hat die Art, wie wir kommunizieren, zusammenarbeiten und Wissen erweben grundsätzlich verändert.
Doch trotz aller Anstrengungen hat das Gesundheitswesen, im Gegensatz zu anderen Sektoren wie dem Bankenwesen, dem Handel oder der Industrie, bislang den Anschluss verpasst. Der Aufbau von elektronischen Patientenakten, Patientenportalen und Gesundheitsnetzwerken konnte bislang wenig dazu beitragen, die Arbeit von Medizinern und Pflegekräften maßgeblich zu unterstützen. Im Gegenteil werden IT-Systeme häufig als zusätzliche Belastung empfunden.
Für Anbieter ist der organisations-übergreifende Austausch von Patientendaten eher Werbeslogan als ein nutzbringendes und genutztes Feature. Der Versand und Empfang von eMails, oft der einzigen Form elektronische Kommunikation, wird aus Datenschutzgründen ungern gesehen. So ist und bleibt das Fax das beliebteste Kommunikationsmittel Deutscher Ärzte.
Die Datenformate und Transportwege für Register-, Abrechnungs- und Qualitätssicherungsdaten verharren nach wie vor auf der technologischen Basis des letzten Jahrtausends.
Wir haben das Papier abgeschafft, denken aber immer noch „in Papier“.
Wenn man auf die vergangenen Jahre der „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ zurückblickt, dann bestand diese überwiegend in der Digitalisierung von Dokumenten, deren Prinzipien zu Darstellung, Organisation, Archivierung und Austausch bemüht zu sein scheinen, den Unterschied zum Papier möglicht vergessen zu lassen. Dieses Verharren in der Dokumentenwelt ist einer der Hauptgründe, weshalb das Gesundheitswesen keine technologischen Sprünge macht.
Während die Frustration von Anbietern und Anwendern sich kontinuierlich zuspitzt, leuchtet der neue HL7-Standard „FHIR“ ein Licht ins Dunkel und zeigt einen besseren Weg auf, Daten so zu erfassen und zu kommunizieren, dass damit ein Mehrwert für beide Seiten entsteht und sie den wachsenden Anforderungen der BigData-Analysen gerecht werden.
Die Idee ist nicht neu und die technologische Basis, auf der FHIR aufsetzt ist so alt wie das Internet selbst. Tatsächlich ist die Basis das Internet selbst. FHIR verfolgt jedoch erstmals den Ansatz, die Technologien des Internets auf die hoch komplexen Bedürfnisse des Gesundheitswesens anzupassen und damit Ärzen und Patienten die gewohnte Einfachheit von Kommunikation und Datenaustausch, die dem Rest der Welt selbstverständlich sind, zu eröffnen.
Warum ist FHIR anders als bisherige Standards?
FHIR beruht auf den Prinzipien des Internets.
Anstatt Informationen zu einem Dokument aggregiert von Sender zu Empfänger zu versenden, erhalten die einzelnen Informationseinheiten eine URL, auf die FHIR-Systeme wie ein Browser auf eine Webseite zugreifen können, nach denen sie „googeln“ oder die sie herunterladen können. Konsequenter Weise sind diese Informationen über eben jene URLs miteinander verlinkt.
Diese Informationseinheiten werden als „Ressourcen“ bezeichnet. Beispiele für in FHIR definierte Ressourcentypen sind ein Patient, ein Medikament, eine Allergie oder eine Diagnose.
Natürlich integriert FHIR dabei auch alle heute üblichen und etablierten Methoden um die Kommunikation zu verschlüsseln, Benutzer zu authentifizieren und Daten vor unerlaubtem Zugriff zu schützen.
Links stellen Kontext her,
sie verknüpfen einen Patienten mit einer Diagnose, ein Gerät mit einem Messwert oder einen Arzt mit einer Praxis.
Verlinkte, also zusammengehörende Ressourcen können – wenn erforderlich – zu einem Dokument oder einer Nachricht gebündelt versendet oder archiviert werden, so dass auch die von bisherigen Standards wie HL7 Version 2 und CDA abgebildeten Funktionen eine Äquivalenz in FHIR finden.
So wie Webseiten im Internet, sind auch die FHIR-Ressourcen systemunabhängig. Genau so wie der HTML-Standard dafür sorgt, dass Webseiten von allen Browsern interpretiert und (einigermaßen) identisch präsentiert werden können, so ermöglichen die von FHIR standardisierten Datenstrukturen den herstellerunabhängigen Datenaustausch im Gesundheitswesen.
Die größte Revolution ist jedoch die Abkehr vom „PUSH“-Modell,
in dem jeder Datenempfänger darauf warten muss, dass beim Sender ein bestimmtes Ereignis eintritt, das den Dokumenten- oder Nachrichtenversand auslöst, hin zu einem QUERY-getriebenen Ansatz, in dem Daten bereitgestellt, und zu einem beliebigen Zeitpunkt in beliebigen Umfang abgefragt werden können.
Die enorme Verbreitung von Internetstandards macht die Implementierung von FHIR so einfach.
Die Technologien sind Entwicklern vertraut, wiederverwendbare Code-Bibliotheken sind selbst in den exotischsten Programmiersprachen verfügbar. Dass FHIR damit den richtigen Ansatz verfolgt, zeigt sich vor allem in einem:
Das Internet funktioniert.
„Zeige mit deine API und ich integrier‘ dich“
Application programming interfaces (APIs) sind in vielen Bereichen zum Schweizer Messer der Interoperabilität geworden. Entwickler stellen damit im Handumdrehen eine Verbindung zwischen ihrer Applikation und sozialen Netzwerken her oder integrieren die Standortdienste von Google Maps. Dass wir heute Portale nutzen können, die Hotel-, Flug- oder Produktpreise aus unterschiedlichen Systemen vergleichen und das günstigste Angebot für uns finden können, verdanken wir den APIs, die den standardisierten Zugriff auf unterschiedliche Datenquellen ermöglichen.
In Verbindung mit den standardisierten Datenstrukturen und dem Query-getriebenen Ansatz von FHIR sowie einem Framework für Autorisation und Authentifikation, ermöglichen APIs eine Interaktion zwischen Systemen, die mit dem reinen Versand von Dokumenten niemals denkbar wäre:
Eine standardisierte Integration von Webapplikationen um die Funktionalitäten von Krankenhaus- und Praxissystemen zu erweitern, so einfach wie man eine neue App auf einem Smartphone installiert; die standardisierte und damit kostengünstige und austauschbare Integration von Entscheidungsunterstützungs-Diensten: FHIR macht es möglich.
Die Begeisterung für FHIR ist für Anwender, die sich weniger für Technologien und mehr für Lösungen interessieren, schwer nachvollziehbar. Daher sehen sich FHIR-Entwickler häufig mit dem Skeptizismus leidgeprüfter Anwender konfrontiert, die sich einerseits an den Einschränkungen des dokumentenzentrierten Ansatzes reiben, aber andererseits die Reminiszenz des Papiers noch immer nicht loslassen wollen.
Zu viele neue Technologien haben in der Vergangenheit Versprechungen gemacht, die Sie nicht halten konnten.
Von FHIR erhoffen sich viele die Lösung aller Probleme bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, übersehen dabei jedoch häufig, dass viele dieser Probleme keine technologischen, sondern politische Probleme sind.
Die Sektorentrennung, die mangelnde Koordination zwischen verschiedenen Organen des Gesundheitswesens, die oft kritisierte Unterscheidung zwischen Privat- und Kassenpatienten, der Föderalismus, der Datenschutz: All diese Faktoren leisten einen erheblichen Beitrag zur Verhinderung und Verzögerung der Digitalisierung, können jedoch nicht einfach durch das Einführen neuer Technologien eliminiert werden.
Aufgrund seiner Flexibilität kann FHIR sich an die unterschiedlichen Gegebenheiten und Anforderungen anpassen und Brücken zwischen dem dokumentenbasierten und dem datenbasierten Ansatz schlagen, eventgetriebenes Messaging mit querygetriebenen APIs verheiraten und Kompromisse zwischen strukturierten und unstrukturierten Daten eingehen, so dass alle Organisationen, Systeme und deren Anwender in ihrem eigenen Tempo und nach ihren eigenen Prioritäten den Weg zu interoperablen Lösungen zu beschreiten können.